Freitag, 3. Dezember 2021
end of something
habe einen längeren Text wieder einkassiert. Alles, was zu sagen war, stand in seinen letzten drei Sätzen:

Ich lese gerade Orwells "1984" wieder, auch seine großartige Satire im Anhang: "Die Prinzipien von Neusprech". Dass die westliche Linke nicht begriffen hat, dass Orwell auch sie meinte, auch ihr etwas zu verstehen geben wollte, und zwar etwas Wahres, ist ihr, der westlichen Linken großes, selbstverschuldetes Unglück. Lang lebe der König!

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Und in diesen Szenarien, damals schon (denunzieren, anscheißen, lügen, bezichtigen), lag für mich Ende der 1980er, Anfang der 1990er mein Abschied von linken Ideen, die das Primat der Praxis ansetzten. Der Ausruf Luciles aus "Dantons Tod" ist da zuweilen die richtige Gegenstrategie - wenn man sie denn dialektisch macht.

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Das Problem ist nur: die sind so dumm und ungebildet, dass ihnen dieses Zitat vermutlich gar nicht bekannt ist.

ich habe mir heute mal eine kleine Twitter-Battle geleistet.

ich so: Sarah Bosettis Blinddarm-Satz sei unglücklich, sie sollte ihn zurücknehmen (es ging mir um ihren Tweet, nicht um ihr Video). Es sei eine der basics der Ideologiekritik, dass man Menschen nicht mit einer auszumerzenden Krankheit (bzw einem faulen, heraus zu operierenden Körperglied) konnotieren sollte. Überhaupt seien biologische Metaphern, die sich an der Fallunterscheidung gesund-krank = gut-schlecht orientierten, problematisch.

Die woke Empörungsindustrie auf Twitter so: Meine (milde und freundlich geäußerte) Bosetti-Kritik sei Holocaustrelativierung, Antisemitismus.

Da sinken einem nur noch die Arme.

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Und ansonsten galt damals schon für mich und wird immer für mich gelten:

Altdenk unbauchfühl Engsoz!

Da steckt eine ganze Theorie drin: Dass nämlich das Altdenk, trotz aller mitgeschleppten Schwächen und Nücken, der Wirklichkeit immer angemessener ist als diese auswendig zu lernenden Phrasen. ich muss ständig kichern, wenn ich an Iljoma Mangolds herrliches Wort denke, er wüsste immer gar nicht, wieviele Buchstaben beim LGBTetc...-Spiel gerade angesagt seien.

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Interessant dabei sind vor allem die Doppelstandards, die da ins Feld gefahren werden. Schriebe sowas ein Konservativer im Blick auf Teile der Linken - was ja inhaltlich nicht einmal falsch wäre, daß sie den Staat abschaffen wollen und damit auf gut Deutsch gesagt Verfassungsfeinde sind - fiele die Empörung groß aus. Krankheitsmetapher und das Rausreißen eines Organs aus dem sogenannten "Volkskörper" sind jedoch, egal von wo sie kommen, schlimmer Metaphern.

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Ansonsten fällt mir zu Sarah Bosetti nur ein: Feminismus als Geschäftsmodell auf "Bravo"-Niveau.

Und PS und wenn ich so über Bosetti lese, würde ich ihr doch sehr raten, zunächst ihre Privilegien zu checken, so als mittelalte weiße Frau.

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seh gerade, dass Bosetti mal mit Dieter Nuhr aufgetreten ist. Sie war jung und brauchte das Geld...

edit: überflüssig zu erwähnen, dass ich ihr da nix vorwerfe. So ist die Welt, so sind wir und unsere Widersprüche. Nur sollte man das dann auch anderen zugestehen. Und das tun diese Damen und Herren erfahrungsgemäß nicht.

Das eigentlich schlimme ist und bleibt etwas anderes: Eine Welt, in der eine linke Feministin, die eine unstrittige biologische These sowie eine in hohem Maß plausible kulturgeschichtlich/kultur- und sozialphilosophische These vertritt, eine "Ädolf Hittlärr" sein soll, die angeblich eine "final solution" im Sinn habe...eine solche Welt ist eine Orwell-Welt.

Wie durch Zufall - sehr böse - fällt mir da ein Hannah-Arendt-Wort ein: "Das wäre, als wenn ich sagen würde, ich sei ein Mann und keine Frau - also verrückt"

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Na ja, bei Dieter Nuhr aufgetreten zu sein, ist nun auch wieder nichts Anrüchiges. Bei der heutigen linksbiederen Satire von Böhmermann und Konsorten ist Nuhr teils ein erfrischendes Korrektiv. Ist zwar nicht ganz meins, was er macht, aber auch solche Art von Satire sollte es geben.

Ansonsten: Dieser Aspekt von Konstruktion von Wirklichkeit mittels Sprache wird diesen Leuten noch arg auf die Füße fallen. Spätestens dann, wenn die ersten Rechtskonservativen das für sich fruchbar machen oder wenn irgendwelche Leute, die den Klimawandel schlicht leugnen, es dann mit den selben Mitteln machen wie jene Woko Haram: Klima ist nur eine soziale Konstruktion und solche Diskurse sind nur kulturell bedingt.

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Eben! Aber wir beide wissen das seit 30 Jahren (als ob das neu sei).

Kathleen Stock möge es mir nicht übel nehmen, aber mein eigentliches - der musste jetzt sein! - Erweckungserlebnis (woke up) über die woke Linke, die ich vorher schon kritisch sah, war das Kant-Angepinkel durch irgendwelche dahergelaufenen Minderbegabungen aus dem akademischen Mittelbau.

Kant wurde 1724 geboren. Als 1724 geborener war er (Überraschung!!!), was alle Menschen sind: Er war eben auch Kind seiner Zeit. Über seine "Menschenracen"-Essays müssen wir nicht reden. Aus heutiger Sicht war Kant Rassist, punkt. Diese Eigenschaft teilt er - aus heutiger Sicht - mit: Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Martin Luther King (N-Wort-Verwender!), James Baldwin (ein schwuler Afroamerikaner und ebenso N-Wort-Verwender!).

Es ist so irre, so irre, so irre.

Als vor einigen Jahren die (inzwischen gar nicht mehr so) jungen woken Linken auf den Plan traten (im Grunde gibt es sie seit 30, 40 Jahren), frug ich scherzhaft, ob die Woken nicht ggfls von den Diensten installiert wurden, um die Linke zu zerstören. Ich frage mich so langsam, ob ich meinen Ironie-Smiley nicht zurück ziehen muss... WÄRE ich Geheimdienstoffizier mit der Aufgabe, die Linke kaputt zu machen - ich würde genau so etwas installieren. Lass sie sich mal schön von selbst kaputt machen, indem sie Moralität aufs pseudo-kleinste "analysieren"... Auch hier ist Orwell einschlägig: Wie die Tiere in "Animal Farm" wieder und wieder herum labern, um das Offenkundige nicht zu sehen. Nein, Boxer wurde natürlich nicht zum Abdecker gebracht, sondern zum Tierarzt! Und wer das nicht glaubt, ist ein Reaktionär.

Übrigens: Die Linke entstand sehr wesentlich aus der Religionskritik.

Lassen wir es, Lars, lassen wir es. Lass uns treffen, Epikur lesen, guten Rotwein trinken. Streitig sein (wir sind ja ganz häufig nicht einer Meinung. Ja, herrjeh, nennt sich "Meinungsfreiheit", "Meinungsstreit") Eine Welt, in der eine Milli-Görüs-Rednerin als "Antirassistin" durchgeht, ist eine Orwell-Welt. 2 und 2 sind 5, und Ozeanien war schon immer mit Eurasien im Krieg.

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In diesen Fragen gehen wir in der Tat konform. Die Überlegungen, daß es sich dabei teils um Counter-Theorien handelt oder daß zumindest einem in sich durchfunktionalisierten kapitalistischen System eine Theorie der an neoliberale Muster der Selbstoptimierung und der Identitätsgewinnung anknüpft, nicht unrecht ist, halte ich nicht für so ganz unwahrscheinlich. Denn auf diese Weise einer "Politik der Minderheiten" wird sie niemals eine irgendwie breite Solidarität erzeugen lassen, die ggf. auch auf der Straße in großer Zahl präsent ist.

Na ja, weites Feld, und daß ich eh zu Epikur und zu Wein neige, weißt Du eh. Vielleicht klappt es ja mit einem Treffen zwischen den Jahren.

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Inzwischen hat die Dame reagiert. Neben der üblich widerlichen Rhetorik (nämlich aller Kritik den Don Alphonso reinzuschmieren - Logik: wer mich kritisiert ist quasi wie Don Alphonso - die Leute denken immer, wir hätten Schopenhauer nicht gelesen!) schwingt sie sich zu Geisteshöhen auf:

"Wenn ich jemanden Arschloch oder scheisse nenne, dehumanisiere ich ihn nicht."

Finde den Fehler...

Ach, die woke Linke. Sie wird soooo pleite gehen. Und es wird keiner gewesen sein wollen. Kenn ich alles von 89. "Iiiich? Den GuLaG verharmlost? Aber niemals..." Nee, natürlich nicht, Du Arschloch (der musste jetzt sein).

PS: Volle Zustimmung. ich glaube natürlich nicht an "Dienste" (in Einzelfällen ist selbst das natürlich nicht auszuschließen, guckstu Congress for Cultural freedom). Aber dass es hier marktkonforme übereinstimmende Interessen gibt, scheint mir doch unstrittig. "Ich bin so woke, so divers, ich habe einen diversity-Spot für BMW gemacht", also für die Quandt-Firma. Was die Quandts waren und taten in Nazideutschland, kann man wissen, wenn man wissen will. (Fiktives Beispiel, aber die Logik dahinter ist nicht fiktiv)

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Zu Deiner obigen Bemerkung schnell noch: Die Rechte macht es längst für sich nutzbar. Ellen Kositza, Schnellroda, und Martin Sellner kennen die cultural turns aus dem Effeff, leider.

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Und noch n PS: Wie Du weißt, ging einer von Derridas Schülern nach rechtsaußen. Derrida selber war rechtschaffen entsetzt davon, es wäre schäbig, ihm das vorzuwerfen. Aber zu fragen wäre schon, wenn wir etwa auch an Heidegger/de Man denken, ob 'die' Postmoderne nicht doch eine offene Flanke nach rechts aufweist. Und wie wir damit umgehen sollten. Wenn es Bewahrenswertes an 'der' Postmoderne gibt - und da gibt es m.E. einiges -, sollte das thematisiert werden.

PS zum PS des PS, da der Name Heidegger fiel: nein, bitte keine Heidegger-Diskussion. Das hat doch Ernst Cassirer schon endabschließend dargetan: Heideggers Philosophie ist nicht nazi-kontaminiert, sein fatal-idiotisch-inhumanes politisches Engagement hat wirklich nix mit der ontologischen Differenz o.ä. zu tun. Heideggers rein philosophische Schriften kann man 'ohne Gefahr' lesen. Schmerzhaft bleiben Rektoratsrede, Hönigswald-Gutachten und andere Widerwärtigkeiten natürlich dennoch...oder gerade deswegen.

Ich meinte ergo nicht: Heidegger und/oder Postmoderne -> automatisch rechtsaussen. Ich meine aber die Frage, ob es Elemente in der Postmoderne, auch schon bei Heidegger, gibt, die sozusagen dafür sorgen, ungeschützt zu sein. M.E. ist das bei der (keineswegs grundfalschen/nur falschen!) Dekonstruktion des Realismus der Fall.

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Tja, der gesunde Volkskörper, um es mal so zu machen wie Sarah Bosseti, diesmal nur eben von links. Unliebsames wird da rausgeschnitten, wegoperiert. Und nochmal: nein, es ist die Aufgabe von Legislative und Exekutive und Judikative solche Rechten bzw. Rechtsextremen anzugehen. Erschreckend, daß solche Leute beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen wirken - und das unwidersprochen. Man stelle sich vor Dieter Nuhr hätte den Satz in bezug auf Linksextremismus gebracht: das Gekreische von Stokowski, Bosseti und wie sie alle heißen, wäre riesig. (Davon mal abgesehen, daß diese Dame derart unwitzig ist, daß ich mich frage, wie man mit solchem steindummen Gewäsch auf solche Plätze kommt.)


Na ja, von links nach rechts führen viele Wege, das haben wir ja schon bei den 1968ern und nach ergiebiger Marx- und Hegellektüre gesehen: Stichwort Horst Mahler und Rabehl. Aber dafür können die Originaltexte nichts. Sicherlich kann man die differánce aus als ein solches politisches Ding auffassen, das einen Ethnopluralismus möglich macht. (Wobei ja es ja auch eine vernünftige Form solcher Differenz als Vielfalt gibt. Den sogenannten Melting Pot, der jegliche Kultur unterschiedslos einschmelzt, kritisierte ja bereits Adorno.

Zu Heidegger: völlig d'accord. Als Mensch und in der Rektoratsrede und teils auch in seinen Schwarzen Heften finden sich unangenehme und teils auch schlimmer Sätze - was leider oft passiert, wenn sich Philosophen in die Niederungen der Politik begeben. Stichwort Sartre. Adorno war zum Glück niemals so dumm und wußte bereits früh, was er von der Sowjetunion zu halten hatte.

Postmoderne ist ein problematischer Begriff und ich bin mit ihm nicht sehr glücklich, weil er allzu heterogene Bewegungen und ganz unterschiedliches Denken unter einen Level bringt. Und jene Öffnung nach rechts (oder auch zu den linken Extremismen) findet man leider in fast jeder Philosophie. Aber das eben hängt an jenen, die Texte nicht gut zu lesen verstehen und sie in ihren privaten Referenzrahmen pressen und die zudem nicht gut in der Tradition und Geschichte der Philosophie zu Hause sind. Typisches Problem jener Jünger und das erstreckt sich leider über alle philosophischen Richtungen: bis hin zu den Jüngern postmoderner Positionen, die Philosophie in Geschwafel ausarten lassen und Sprachdada betreiben. Signifiantenficken kann man das auch nennen. Oder einfach nur: Blah Blah blup.

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