Montag, 20. Dezember 2021
Klaus Wagenbach
Der große Klaus Wagenbach ist tot.

Was wäre meine literarische Jugend ohne seinen Verlag? Ohne die Tintenfische? Ohne seine Kafka-Rezeption (auch, wenn man die nicht unkritisch übernehmen muss...man muss niemandes Kafka-Rezeption unkritisch übernehmen). Rühmkorf lernte ich in der Wagenbachausgabe kennen. Was für ein Leben, auch in seinen Irrtümern.

Hier ein spannendes Interview mit Willi Winkler.

Eine kleine Kritik wird mir Wagenbach vom linken Himmel aus zugestehen:

Was für seine linke Generation zutrifft - z.B. auch für Peter Rühmkorf, für Grass und Böll sowieso -, nämlich dass sie nicht durch Schweigen auffiel, wenn es um Bautzen, die Mauer, den GuLag ging, gilt für die nachfolgende Linke, mit der ich mich überwiegend herumschlug, schon nicht mehr.

Von ein paar DKP-Tüffeln abgesehen war kein westdeutscher Linker unkritischer DDR-Bewunderer, sicher, sicher, das nicht. Aber sie haben dröhnend geschwiegen und sich Hinweise auf den GuLag ziemlich aggressiv verbeten.

Wagenbach nannte solche Linken immer "dummlinks". Auch das kann man bei ihm lernen, dass es das Phänomen Dummlinks eben gibt...und dass Dummlinks der Linken kein bisschen hilft, wirklich kein bisschen.

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Kenne ich mal wieder ganz anders. Typisch ist für die Linke in der ich zuhause war eher so etwas: Inge Viett hielt einen Vortrag über ihr Leben und wurde gefragt, wie sie sich im DDR-Exil zur Stasi und VoPo verhalten habe, denn man müsse ja schließlich gegen Bullen sein, überall auf der Welt.

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Das war aber Post-89, lieber Che. Bis 89 hat sich die westdeutsche Linke einen Scheissdreck um die Stasi gekümmert. man wusste, die gab es, und man wusste auch, dass die Stasi unangenehm war, sich Ärger einhandeln mit denen wollte keiner (die paar DKP-Tüffel jetzt mal außen vor, ich kenne einen SDAJler, der auf Schulung in der DDR war). Aber den real existierenden Sozialismus kritisch analysieren von einem explizit linken Standpunkt aus - das wollten nur wenige. Petra Kelly ist als Ausnahme zu nennen, überhaupt die frühen Grünen. Aber selbst das lief ein bisschen unter psst-psst.

Man muss dazu sagen: Der GuLag-Schock in Frankreich in den 70ern führte zu einem gewissen Renegatentum (Glucksmann, Courtois, der später das Schwarzbuch Kommunismus herausgab, beide ursprünglich Maoisten). Die Angst, aufs völlig falsche Gleis zu geraten, war nicht ganz grundlos. Das darf für eine echte linke, progressive, also jederzeit kritische Sicht auf die Welt aber keine Rolle spielen. Tiefpunkt der westlichen Linken war dann das dröhnende Dreiviertelschweigen zu Pol-Pot und den killing fields. Monströs.

PS: Mitr geht es um öffentliche Stellungnahmen, nicht um interne Gespräche.

Modellfall ist und bleibt Sartre. Sartre hat vom GuLag gewusst. Er hat keineswegs gesagt "GuLag? Find ich spitze!", das nicht. Aber er hat explizit zu einem psst-psst aufgerufen, weil man sich ansonsten mit dem US-Imperialismus handgemein machen würde. Wahrheiten taktisch verbiegen - das fällt einem immer auf die Füsse, immer! das war dann Anlas für den berühmten Streit mit Camus. Als ich - vor 89! - sagte, ich hielte Camus Position für die richtige, wurde ich, bestenfalls, ausgelacht.

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Und ich gehörte zu einer Fraktion in der radikalen Linken, die die Anti-Atomraketen-Friedensbewegung radikalisieren wollte in Richtung "Raus aus der NATO" und deutsche Wiedervereinigung unter Maßgabe der Blockfreiheit und eines demokratischen Sozialismus. Brachte uns zeitweise den Vorwurf des Nationalbolschewismus ein. Und führte dazu, dass wir nicht nur in der westdeutschen Autonomenszene aktiv waren, sondern auch mit illegalen linksoppositionellen Gruppen in der DDR konspirierten. Als einer von uns nach 1990 anfragte, ob es eine Stasi-Akte über ihn gäbe wurde dies bejaht. In Berlin einsehen konnte er sie nicht - sie ist bis heute in der Lubjanka.

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Über die französische Linke und ihre Irrungen und Wirrungen in jener Zeit gibt es köstliche Comics von Lauzier und Manara.

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Lieber Che, dann warste aber die Ausnahme, nicht die Regel. (Respekt!)

Die Rosalux hat übrigens eine interessante Broschüre rausgebracht über die Erfahrungen, die Ostdeutsche, die 1989/90 eine unabhängige Linke etablieren wollten, mit ihren (mehr oder weniger) lieben westlichen Genossinininnen gemacht haben. Belehrmodus und so. (ich war damals noch sehr jung, ich will mich selber gar nicht völlig ausnehmen, ähem.) such ich Dir raus.

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There you are!

Spannend

https://www.rosalux.de/publikation/id/42899/sozialistische-alternative-ddr-89

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Dankeschön, das ist interessant!

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