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Samstag, 27. November 2021
Markus Gabriel: Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten
laienphilosoph, 13:04h
Ich bin mit dem Buch nicht wirklich glücklich geworden.
Disclaimer: Ich habe es mir bei der Bundeszentrale erst besorgt, nachdem ich Christian Weidemanns vernichtende Rezension (die innerhalb der 'Szene' ja die Runde machte) gelesen habe. Ich wollte wohlwollend lesen, dachte auch ein bisschen an den Neid und die Häme, an denen in der akademischen Szene ja kein Mangel ist. Leider, muss ich sagen, hat Weidemann im wesentlichen Recht.
Zunächst einmal: ich kann so gut wie alle konkreten moralischen Thesen Gabriels unterschreiben. Humanismus, Universalismus, gegen Moralrelativiererei - für den Hausgebrauch ist das nicht schlecht. Eine Gabriel-Welt ist wohl eine, in der zu leben, gut zu leben ich mir im Großen und Ganzen vorstellen könnte; Differenzen können dann ja in einer seriösen, von gegenseitiger Achtung geprägten Debatte geklärt werden. (Ist überhaupt eine zwar grobe, aber ganz gute, weil zielführende Methode für einen Laien, einen moralphilosophischen Text zu bewerten: Möchtest Du in der Welt, die dort entworfen wird, gerne leben?) Da gibt es sozusagen nicht viel zu meckern, wenn ichs mal norddeutsch sagen darf. (Ja gut, die verunfallte Schwimmbadgeschichte, bei der Gabriel vergessen hat, die Perspektive der Kassiererin einzunehmen... Darf nicht passieren! Geschenkt, auch wenns peinlich war.)
Moralphilosophisch wird es schwieriger. Seinen starken Realismus würde ich so nicht mitmachen, und das Mackie-Problem präsentiert er deutlich unterkomplex. Ich selber, das sei hier ohne Argument zum besten gegeben, bin 'Wahrheitswert-Realist, ich halte moralische Urteile für zustimmungs- und somit wahrheitswertfähig. Mehr braucht es m.E. nicht. Allerdings m.E. auch nicht weniger. Ich könnte mit einem starken moralischen Realismus leben, aber er begründet ihn nicht. Weidemanns Kritik daran, dass Gabriel seine Begriffe sehr unsauber einführt und kaum argumentiert, ist leider zutreffend, auch die wohlwollende Interpretation rettet ihn nicht: Sicher, Gabriel schrieb ein populärwissenschaftliches Buch. Was er jeweils adressiert ist allen, die die Debatten so halbwegs kennen, klar. Aber in der Tat: "So geht es nicht!" (Weidemann)
Universalismus ist kein Eurozentrismus - richtig! (Übrigens schon faktisch nicht: das afrikanische Ubuntu, der chinesische Konfuzianismus, younameit waren und sind ebenfalls on the road to real universalism. Und mehr als on the road ist der Westen ja nun auch nicht...) Seine scharfe Kritik am Kulturrelativismus kann ich einerseits mitmachen. (Nein, Frauenbeschneidung, mein Beispiel, muss nicht "kulturwissenschaftlich interpretiert" werden - Frauenbeschneidung ist schlicht und einfach falsch, punkt. Wer es mir nicht glaubt fragt eine Frau, sofern er eine kennt.) Zugleich aber unterschlägt Gabriel die Dimension Geschichte/Geschichtlichkeit. Geschichtsphilosophisch haben wir hier die 6-Millionen-Dollar-Frage vorliegen. Humanität gilt immer und überall und galt letztlich auch immer und überall (da gehe ich mit Gabriel mit), zugleich haben wir die Existenz geschichtlicher Bedingtheiten zu akzeptieren (ansonsten sollten wir Kants Werke tatsächlich verbrennen; die aus heutiger Sicht völlig indiskutablen Schriften über 'Menschenracen' existieren ja nun mal). Just Kant selber hat interessante Antworten gegeben darauf, wie wir das dialektische Verhältnis zwischen geschichtlicher Bedingtheit und moralischer Unbedingtheit ausdeuten können; Gabriel hätte gut daran getan, noch einmal zur "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" zu greifen. Ja, aus moralischer Perspektive war es, Gabriels Beispiel, auch 1880 falsch, Kinder zu schlagen. Aus Gattungsperspektive muss man sagen: Es war damals leider so, man glaubte, das richtige zu tun, und es kann dargestellt werden, warum die humane Perspektive damals (noch) unvollkomen(er) entwickelt war (als heute). Nicht zuletzt aus dieser Zwitternatur des Menschengeschlechts - wir sind moralische Wesen und zugleich heteronom (kulturell, sozial, geschichtlich, ökonomisch, geschlechtlich, biologisch) bestimmte Naturwesen - erwachsen ja all unsere Probleme. Ein kleiner Schuss Ranke (und ein sehr großer Schuss Kant!) täte uns allen gut.
Schwierig wird es auch bei seiner Kritik an der Postmoderne. Über social-warriors, die ihre Angriffe auf Andersdenkende mit schlecht angelesener postmoderner Theorie befeuern ("Wer Rassist ist, bestimme ich" herrmanngöringt es aus ihnen), müssen wir nicht reden. Die Preisgabe der Kategorie Tatsache haben viele - darunter auch ein blutjunger Hamburger Philosophiestudent - schon damals in den End80ern für unselig gehalten. Bekanntlich von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus. To drop some names: Ian Hacking, Thomas Nagel, Martha Nussbaum. Soweit, so d'accord. Aber Gabriel übersieht, dass die Postmoderne ihre Verdienste hat. Was er kritisiert, und in dieser Schärfe auch zu recht kritisiert, ist die Postmoderne im Zustand ihrer Verhunzung. Sozusagen verdinglichter Derrida. Aber der Komplexität 'der' Postmoderne (die es als 'die' Postmoderne ohnedies nicht gibt) wird er nicht gerecht. Seine Darstellung Rortys ist nun wirklich bloße Karikatur, das geht so nicht. Rortys liberale Ironikerin ist denn doch komplexer.*
Empfehlung? Schwierig. Man wird nicht dümmer durch die Lektüre. Aber wird man klüger? Studentinnen und Studenten der Philosophie jedenfalls ist eher abzuraten, zumindest dann, wenn sie auf der Suche nach forschungsrelevanter Literatur sind.
__________
* ganz unabhängig von Gabriel (okay, der ist jetzt böse!) erleben wir derzeit, seit einigen Dekaden letztlich, ja eine Renaissance realistischer Sichtweisen in der Philosophie; explizit gegen die cultural turns. Da die cultural turns in den Kulturwissenschaften weiterhin maßgebend sind, erwachsen daraus nicht unbeträchtliche Spannungen zwischen KuWi und Philo. Beim 'Fall' Kathleen Stock geht es eben auch um Realismus versus Postmoderne (derzeitiger Philosophie-Mainstream versus derzeitiger KuWi-Mainstream). Stock agiert explizit als Realistin, und ihre Position sollte auch so gelesen werden.
Disclaimer: Ich habe es mir bei der Bundeszentrale erst besorgt, nachdem ich Christian Weidemanns vernichtende Rezension (die innerhalb der 'Szene' ja die Runde machte) gelesen habe. Ich wollte wohlwollend lesen, dachte auch ein bisschen an den Neid und die Häme, an denen in der akademischen Szene ja kein Mangel ist. Leider, muss ich sagen, hat Weidemann im wesentlichen Recht.
Zunächst einmal: ich kann so gut wie alle konkreten moralischen Thesen Gabriels unterschreiben. Humanismus, Universalismus, gegen Moralrelativiererei - für den Hausgebrauch ist das nicht schlecht. Eine Gabriel-Welt ist wohl eine, in der zu leben, gut zu leben ich mir im Großen und Ganzen vorstellen könnte; Differenzen können dann ja in einer seriösen, von gegenseitiger Achtung geprägten Debatte geklärt werden. (Ist überhaupt eine zwar grobe, aber ganz gute, weil zielführende Methode für einen Laien, einen moralphilosophischen Text zu bewerten: Möchtest Du in der Welt, die dort entworfen wird, gerne leben?) Da gibt es sozusagen nicht viel zu meckern, wenn ichs mal norddeutsch sagen darf. (Ja gut, die verunfallte Schwimmbadgeschichte, bei der Gabriel vergessen hat, die Perspektive der Kassiererin einzunehmen... Darf nicht passieren! Geschenkt, auch wenns peinlich war.)
Moralphilosophisch wird es schwieriger. Seinen starken Realismus würde ich so nicht mitmachen, und das Mackie-Problem präsentiert er deutlich unterkomplex. Ich selber, das sei hier ohne Argument zum besten gegeben, bin 'Wahrheitswert-Realist, ich halte moralische Urteile für zustimmungs- und somit wahrheitswertfähig. Mehr braucht es m.E. nicht. Allerdings m.E. auch nicht weniger. Ich könnte mit einem starken moralischen Realismus leben, aber er begründet ihn nicht. Weidemanns Kritik daran, dass Gabriel seine Begriffe sehr unsauber einführt und kaum argumentiert, ist leider zutreffend, auch die wohlwollende Interpretation rettet ihn nicht: Sicher, Gabriel schrieb ein populärwissenschaftliches Buch. Was er jeweils adressiert ist allen, die die Debatten so halbwegs kennen, klar. Aber in der Tat: "So geht es nicht!" (Weidemann)
Universalismus ist kein Eurozentrismus - richtig! (Übrigens schon faktisch nicht: das afrikanische Ubuntu, der chinesische Konfuzianismus, younameit waren und sind ebenfalls on the road to real universalism. Und mehr als on the road ist der Westen ja nun auch nicht...) Seine scharfe Kritik am Kulturrelativismus kann ich einerseits mitmachen. (Nein, Frauenbeschneidung, mein Beispiel, muss nicht "kulturwissenschaftlich interpretiert" werden - Frauenbeschneidung ist schlicht und einfach falsch, punkt. Wer es mir nicht glaubt fragt eine Frau, sofern er eine kennt.) Zugleich aber unterschlägt Gabriel die Dimension Geschichte/Geschichtlichkeit. Geschichtsphilosophisch haben wir hier die 6-Millionen-Dollar-Frage vorliegen. Humanität gilt immer und überall und galt letztlich auch immer und überall (da gehe ich mit Gabriel mit), zugleich haben wir die Existenz geschichtlicher Bedingtheiten zu akzeptieren (ansonsten sollten wir Kants Werke tatsächlich verbrennen; die aus heutiger Sicht völlig indiskutablen Schriften über 'Menschenracen' existieren ja nun mal). Just Kant selber hat interessante Antworten gegeben darauf, wie wir das dialektische Verhältnis zwischen geschichtlicher Bedingtheit und moralischer Unbedingtheit ausdeuten können; Gabriel hätte gut daran getan, noch einmal zur "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" zu greifen. Ja, aus moralischer Perspektive war es, Gabriels Beispiel, auch 1880 falsch, Kinder zu schlagen. Aus Gattungsperspektive muss man sagen: Es war damals leider so, man glaubte, das richtige zu tun, und es kann dargestellt werden, warum die humane Perspektive damals (noch) unvollkomen(er) entwickelt war (als heute). Nicht zuletzt aus dieser Zwitternatur des Menschengeschlechts - wir sind moralische Wesen und zugleich heteronom (kulturell, sozial, geschichtlich, ökonomisch, geschlechtlich, biologisch) bestimmte Naturwesen - erwachsen ja all unsere Probleme. Ein kleiner Schuss Ranke (und ein sehr großer Schuss Kant!) täte uns allen gut.
Schwierig wird es auch bei seiner Kritik an der Postmoderne. Über social-warriors, die ihre Angriffe auf Andersdenkende mit schlecht angelesener postmoderner Theorie befeuern ("Wer Rassist ist, bestimme ich" herrmanngöringt es aus ihnen), müssen wir nicht reden. Die Preisgabe der Kategorie Tatsache haben viele - darunter auch ein blutjunger Hamburger Philosophiestudent - schon damals in den End80ern für unselig gehalten. Bekanntlich von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus. To drop some names: Ian Hacking, Thomas Nagel, Martha Nussbaum. Soweit, so d'accord. Aber Gabriel übersieht, dass die Postmoderne ihre Verdienste hat. Was er kritisiert, und in dieser Schärfe auch zu recht kritisiert, ist die Postmoderne im Zustand ihrer Verhunzung. Sozusagen verdinglichter Derrida. Aber der Komplexität 'der' Postmoderne (die es als 'die' Postmoderne ohnedies nicht gibt) wird er nicht gerecht. Seine Darstellung Rortys ist nun wirklich bloße Karikatur, das geht so nicht. Rortys liberale Ironikerin ist denn doch komplexer.*
Empfehlung? Schwierig. Man wird nicht dümmer durch die Lektüre. Aber wird man klüger? Studentinnen und Studenten der Philosophie jedenfalls ist eher abzuraten, zumindest dann, wenn sie auf der Suche nach forschungsrelevanter Literatur sind.
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* ganz unabhängig von Gabriel (okay, der ist jetzt böse!) erleben wir derzeit, seit einigen Dekaden letztlich, ja eine Renaissance realistischer Sichtweisen in der Philosophie; explizit gegen die cultural turns. Da die cultural turns in den Kulturwissenschaften weiterhin maßgebend sind, erwachsen daraus nicht unbeträchtliche Spannungen zwischen KuWi und Philo. Beim 'Fall' Kathleen Stock geht es eben auch um Realismus versus Postmoderne (derzeitiger Philosophie-Mainstream versus derzeitiger KuWi-Mainstream). Stock agiert explizit als Realistin, und ihre Position sollte auch so gelesen werden.
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Freitag, 26. November 2021
Notizen 2
laienphilosoph, 23:11h
Faustregel: Wer im Gestus der Anklage moralische Selbstverständlichkeiten abfordert, lügt immer. "Unverschämtheit" scheint eine argumentationstheoretische Kategorie zu sein.
____________________
Faustregel 2: Linke sollten nicht den Fehler begehen, Wahrheiten liegen zu lassen, weil man sie rechts am Wegrand gefunden hat. (geklaut; ich meine bei Ernst Bloch)
____________________
Faustregel 3: Die unwohlwollende Interpretation war für mich immer Ausweis intellektueller Unredlichkeit.
____________________
Warum ist die Fallunterscheidung zwischen mondo naturale und mondo civile, also zwischen Natur (es ist wie es ist) und Kultur (es ist menschengemacht) so schwer zu verstehen? Die beiden Altmeister Bacon und Vico haben es doch eigentlich in wünschenswerter Klarheit dargestellt... Wer diese Fallunterscheidung aufheben oder zumindest für irrelevant erklären will, sollte dies argumentativ ausweisen. (Es geht übrigens nicht um Wissen, nicht um die gesellschaftliche Organisation von Wissen im Sinne des großartigen Berger/Luckmannschen Soziologie-Klassikers "Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit", 1966. Dass auch Naturwissenschaft menschengemacht ist, ist trivial. In diesem Sinne gilt: Der Konstruktivismus ist erstens richtig und zweitens trivial richtig. Diesen trivialen und unproblematischen Sinn von Konstruktivismus meint der radikale Konstruktivist aber nicht. Er bestreitet, was Berger-Luckmann als "äußere, physische Welt" schlicht voraussetzen.)
__________________
noch mal Uwe Steinhoff. Respekt. Ich habe da die Ruhe nicht mehr weg. Und ja: Es gibt - "Folgt der Wissenschaft!" - biologisch genau zwei Geschlechter, punkt. Wer etwas anderes behauptet, will eine Lyssenko-Biologie etablieren. Das ist intellektuell schon erbärmlich, was da abgeht. Was wir kulturell daraus machen ist dann eine ganz andere Frage, aber biologisch gibt es nur zwei Arten von Keimzellen und also genau zwei Geschlechter. Ansonsten verweise ich auf die erste Faustregel oben.
__________________
Ein Notarzt berichtet mir: Notarzteinsatz mit Hubi (Hubschrauber). Luftnot. Natürlich Covid19. Die gesamte Familie ist ungeimpft. Als ein Krankenpfleger fragt, warum denn: Impfen sei schädlich, das stünde so auf russia today, da informiere man sich. Die Tochter schoß dann den Vogel ab: Sie habe hier gerade einen Test gemacht, der sei "aber nur ein bisschen positiv".
#kannstenicherfinden
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Faustregel 2: Linke sollten nicht den Fehler begehen, Wahrheiten liegen zu lassen, weil man sie rechts am Wegrand gefunden hat. (geklaut; ich meine bei Ernst Bloch)
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Faustregel 3: Die unwohlwollende Interpretation war für mich immer Ausweis intellektueller Unredlichkeit.
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Warum ist die Fallunterscheidung zwischen mondo naturale und mondo civile, also zwischen Natur (es ist wie es ist) und Kultur (es ist menschengemacht) so schwer zu verstehen? Die beiden Altmeister Bacon und Vico haben es doch eigentlich in wünschenswerter Klarheit dargestellt... Wer diese Fallunterscheidung aufheben oder zumindest für irrelevant erklären will, sollte dies argumentativ ausweisen. (Es geht übrigens nicht um Wissen, nicht um die gesellschaftliche Organisation von Wissen im Sinne des großartigen Berger/Luckmannschen Soziologie-Klassikers "Die gesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit", 1966. Dass auch Naturwissenschaft menschengemacht ist, ist trivial. In diesem Sinne gilt: Der Konstruktivismus ist erstens richtig und zweitens trivial richtig. Diesen trivialen und unproblematischen Sinn von Konstruktivismus meint der radikale Konstruktivist aber nicht. Er bestreitet, was Berger-Luckmann als "äußere, physische Welt" schlicht voraussetzen.)
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noch mal Uwe Steinhoff. Respekt. Ich habe da die Ruhe nicht mehr weg. Und ja: Es gibt - "Folgt der Wissenschaft!" - biologisch genau zwei Geschlechter, punkt. Wer etwas anderes behauptet, will eine Lyssenko-Biologie etablieren. Das ist intellektuell schon erbärmlich, was da abgeht. Was wir kulturell daraus machen ist dann eine ganz andere Frage, aber biologisch gibt es nur zwei Arten von Keimzellen und also genau zwei Geschlechter. Ansonsten verweise ich auf die erste Faustregel oben.
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Ein Notarzt berichtet mir: Notarzteinsatz mit Hubi (Hubschrauber). Luftnot. Natürlich Covid19. Die gesamte Familie ist ungeimpft. Als ein Krankenpfleger fragt, warum denn: Impfen sei schädlich, das stünde so auf russia today, da informiere man sich. Die Tochter schoß dann den Vogel ab: Sie habe hier gerade einen Test gemacht, der sei "aber nur ein bisschen positiv".
#kannstenicherfinden
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Malte Thießen über Seuchen
laienphilosoph, 06:25h
Spannendes Interview mit Malte Thießen. Daraus:
Frühere Gesellschaften sind fatalistischer mit Pandemien umgegangen - trotz der vielen Toten ist die Hongkong-Grippe relativ spurlos durch die Gesellschaft gezogen. Es gab kaum Medienberichte und auch keine großen politischen Diskussionen. Das hatte damit zu tun, dass die Hongkong-Grippe in das Muster passte, das man damals gewohnt war, nämlich: Alle Jahre wieder gibt es eine Pandemie, und die schlägt vor allem unter Alten und Vorerkrankten zu. Und weil die Hongkong-Grippe als "Grippe" bezeichnet wurde, passte sie auch ins Bild der jährlich wiederkehrenden Influenza.
Das heißt, wir haben auch deshalb so stark auf Corona reagiert, weil wir Pandemien nicht mehr gewöhnt sind?
Ja, wir sind ein Stück weit Opfer unserer medizinischen Erfolge. Wir haben vergessen, dass von Infektionskrankheiten eine breite Bedrohung ausgehen kann.
Und hier. Sehr sympathisch, der Mann:
Sie schreiben in Ihrem Vorwort, beim Abschluss des Manuskripts Ende Juni 2021 habe sich "ein vorläufiges 'Happy End' der Pandemie" abgezeichnet. Wie sehr haben Sie diesen Satz schon bereut?
(lacht) Sehr! Historiker sind in der Tat die letzten, die man nach Prognosen fragen sollte. Dass die vierte Welle kommt, war klar, aber ich dachte, das wird eine kleine Woge, die an der Impfmauer bricht. Ich lag auch mit dem globalen Engagement für weltweite Impfungen im Frühjahr 2021 total daneben. Das ist wieder sehr zurückgegangen, auch wenn alle wissen, dass Corona erst vorbei ist, wenn es überall vorbei ist.
Frühere Gesellschaften sind fatalistischer mit Pandemien umgegangen - trotz der vielen Toten ist die Hongkong-Grippe relativ spurlos durch die Gesellschaft gezogen. Es gab kaum Medienberichte und auch keine großen politischen Diskussionen. Das hatte damit zu tun, dass die Hongkong-Grippe in das Muster passte, das man damals gewohnt war, nämlich: Alle Jahre wieder gibt es eine Pandemie, und die schlägt vor allem unter Alten und Vorerkrankten zu. Und weil die Hongkong-Grippe als "Grippe" bezeichnet wurde, passte sie auch ins Bild der jährlich wiederkehrenden Influenza.
Das heißt, wir haben auch deshalb so stark auf Corona reagiert, weil wir Pandemien nicht mehr gewöhnt sind?
Ja, wir sind ein Stück weit Opfer unserer medizinischen Erfolge. Wir haben vergessen, dass von Infektionskrankheiten eine breite Bedrohung ausgehen kann.
Und hier. Sehr sympathisch, der Mann:
Sie schreiben in Ihrem Vorwort, beim Abschluss des Manuskripts Ende Juni 2021 habe sich "ein vorläufiges 'Happy End' der Pandemie" abgezeichnet. Wie sehr haben Sie diesen Satz schon bereut?
(lacht) Sehr! Historiker sind in der Tat die letzten, die man nach Prognosen fragen sollte. Dass die vierte Welle kommt, war klar, aber ich dachte, das wird eine kleine Woge, die an der Impfmauer bricht. Ich lag auch mit dem globalen Engagement für weltweite Impfungen im Frühjahr 2021 total daneben. Das ist wieder sehr zurückgegangen, auch wenn alle wissen, dass Corona erst vorbei ist, wenn es überall vorbei ist.
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Donnerstag, 25. November 2021
Schöne Nachrichten
laienphilosoph, 15:35h
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Uwe Steinhoff
laienphilosoph, 10:39h
zerlegt Schräubchen für Schräubchen die "Argumente" gegen Kathleen Stock. Respekt.
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Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht
laienphilosoph, 01:07h
Er ist eine der schönsten und subtilsten Essays der Philosophie.
"Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl als jede andere Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt. Die Geschichte, welche sich mit der Erzählung dieser Erscheinungen beschäftigt, so tief auch deren Ursachen verborgen sein mögen, läßt dennoch von sich hoffen: daß, wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen betrachtet, sie einen regelmäßigen Gang derselben entdecken könne; und daß auf die Art, was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwickelung der ursprünglichen Anlagen derselben werde erkannnt werden können. So scheinen die Ehen, die daher kommenden Geburten und das Sterben, da der freie Wille des Menschen auf sie so großen Einfluß hat, keiner Regel unterworfen zu sein, nach welcher man die Zahl derselben zum voraus durch Rechnung bestimmen könne; und doch beweisen die jährlichen Tafeln derselben in großen Ländern, daß sie eben so wohl nach beständigen Naturgesetzen geschehen, als die so unbeständigen Witterungen, deren Eräugnis man einzeln nicht vorher bestimmen kann, die aber im Ganzen nicht ermangeln den Wachstum der Pflanzen, den Lauf der Ströme und andere Naturanstalten in einem gleichförmigen, ununterbrochenen Gange zu erhalten. Einzelne Menschen und selbst ganze Völker denken wenig daran, daß, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne, und einer oft wider den anderen, ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Naturabsicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen und an derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde."
Online hier, ich empfehle aber die Ausgabe von Manfred Riedel bei Reclam (derzeit nur gebraucht)
https://www.projekt-gutenberg.org/kant/absicht/Kapitel1.html
"Was man sich auch in metaphysischer Absicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen mag: so sind doch die Erscheinungen desselben, die menschlichen Handlungen, eben so wohl als jede andere Naturbegebenheit nach allgemeinen Naturgesetzen bestimmt. Die Geschichte, welche sich mit der Erzählung dieser Erscheinungen beschäftigt, so tief auch deren Ursachen verborgen sein mögen, läßt dennoch von sich hoffen: daß, wenn sie das Spiel der Freiheit des menschlichen Willens im Großen betrachtet, sie einen regelmäßigen Gang derselben entdecken könne; und daß auf die Art, was an einzelnen Subjecten verwickelt und regellos in die Augen fällt, an der ganzen Gattung doch als eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwickelung der ursprünglichen Anlagen derselben werde erkannnt werden können. So scheinen die Ehen, die daher kommenden Geburten und das Sterben, da der freie Wille des Menschen auf sie so großen Einfluß hat, keiner Regel unterworfen zu sein, nach welcher man die Zahl derselben zum voraus durch Rechnung bestimmen könne; und doch beweisen die jährlichen Tafeln derselben in großen Ländern, daß sie eben so wohl nach beständigen Naturgesetzen geschehen, als die so unbeständigen Witterungen, deren Eräugnis man einzeln nicht vorher bestimmen kann, die aber im Ganzen nicht ermangeln den Wachstum der Pflanzen, den Lauf der Ströme und andere Naturanstalten in einem gleichförmigen, ununterbrochenen Gange zu erhalten. Einzelne Menschen und selbst ganze Völker denken wenig daran, daß, indem sie, ein jedes nach seinem Sinne, und einer oft wider den anderen, ihre eigene Absicht verfolgen, sie unbemerkt an der Naturabsicht, die ihnen selbst unbekannt ist, als an einem Leitfaden fortgehen und an derselben Beförderung arbeiten, an welcher, selbst wenn sie ihnen bekannt würde, ihnen doch wenig gelegen sein würde."
Online hier, ich empfehle aber die Ausgabe von Manfred Riedel bei Reclam (derzeit nur gebraucht)
https://www.projekt-gutenberg.org/kant/absicht/Kapitel1.html
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Mittwoch, 24. November 2021
Hasnain Kazim
laienphilosoph, 22:57h
Auf diesen sehr wichtigen Beitrag Kazims soll denn doch kurz hingewiesen werden. Natürlich kann ich jedes Semikolon unterschreiben.
"Umso tragischer finde ich, dass auch auf linker Seite das Reden immer öfter geprägt ist von Freund-Feind-Denken, von Ideologien und Identitätszugehörigkeit. Von dieser gefährlichen 'Wer nicht für uns ist, ist gegen uns'-Haltung. So macht man selbst aus Verbündeten Feinde. Das führt dazu, dass viele sich zurückziehen, lieber schweigen, entnervt aufgeben, obwohl sie auf derselben Seite stehen. So schwächt man den Kampf gegen Rechtsextremisten, so schadet man der Sache."
Jo. So isses wohl. Man schadet der Sache...und etabliert vor allem, noch schlimmer, eine Orwell-Welt. Erfühlte linke Welten anstelle der realen. Leider eine unschöne linke Tradition.
Eine kleine Präzisierung möge Kazim erlauben: sowohl das Phänomen als auch innerlinke Kritik an diesem social warrior-Wahnwitz gibt es seit langem, denn das Phänomen existiert seit Jahrzehnten.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-11/politische-haltung-rassissmus-racial-profiling-polizei-rechtsextremismus/komplettansicht
"Umso tragischer finde ich, dass auch auf linker Seite das Reden immer öfter geprägt ist von Freund-Feind-Denken, von Ideologien und Identitätszugehörigkeit. Von dieser gefährlichen 'Wer nicht für uns ist, ist gegen uns'-Haltung. So macht man selbst aus Verbündeten Feinde. Das führt dazu, dass viele sich zurückziehen, lieber schweigen, entnervt aufgeben, obwohl sie auf derselben Seite stehen. So schwächt man den Kampf gegen Rechtsextremisten, so schadet man der Sache."
Jo. So isses wohl. Man schadet der Sache...und etabliert vor allem, noch schlimmer, eine Orwell-Welt. Erfühlte linke Welten anstelle der realen. Leider eine unschöne linke Tradition.
Eine kleine Präzisierung möge Kazim erlauben: sowohl das Phänomen als auch innerlinke Kritik an diesem social warrior-Wahnwitz gibt es seit langem, denn das Phänomen existiert seit Jahrzehnten.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-11/politische-haltung-rassissmus-racial-profiling-polizei-rechtsextremismus/komplettansicht
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Dienstag, 23. November 2021
Notizen 1
laienphilosoph, 23:38h
"Laienphilosoph" - ich werde dazu angefragt. Antwort: ich bin Laie, Dilettant. So wie wir alle. (Fast) überall.
_________________
Impfpflicht: Ach, das bewegt jetzt alle. Sogar mich. Mithin: Ich bin eigentlich dagegen. 2 und 2 bleiben auch dann 4, wenn Kubicki zustimmt. Will sagen: Die Wahrung der körperlichen Integrität ist schon ein sehr, sehr (sehr, sehr, sehr) wichtiges Verfassungsgut. Der Rohrstock ist Mist, zweifellos. Was machen wir - die menschliche Wirklichkeit schlägt die Theorie bekanntlich immer, und das sage ich, der Kantianer und Schillerianer! - , wenn es ohne Rohrstock aka Impfpflicht nicht geht? I'm free for proposals... Mist! Ganz ganz großer Mist, so oder so!
_______________
Kathleen Stock: Ich empfehle Beschaffung und Lektüre des Buchs "Material Girls. Why Reality matters for Feminism". Betonung liegt auf Lektüre. Danach möge entschieden werden, ob Stock eine "Adolf Hitler" ist, die Transgenders eine "final solution" angedeihen lassen will. Mit meiner begründeten Antwort - Nein, ist sie nicht und will sie nicht, natürlich nicht, was für eine irre Frage - will ich nicht hinterm Berg halten.
Ob sie Recht hat mit ihrer These, der Geschlechterbegriff solle sehr wesentlich auf sex rekurrieren, wobei sex von gender strikt zu trennen und, gegen Butler, primär biologisch zu definieren sei, ist eine ganz andere Frage. Das muss der Feminismus erst einmal unter sich klären. Stocks Begriffsanalyse dazu im ersten Teil ihres Buches ist sehr subtil und m.E. auch fair. Aber gut, darüber muss diskutiert werden. Die Vorwürfe gegen sie sind jedenfalls schlicht irre.
Übrigens nehme ich bei der Debatte eine Methode wahr, die ich immer schon unfair gefunden habe: Es werden die (unstrittigen und unstrittig widerwärtigen!) Morde an Transgender angeführt, als seien Stock und Rowling für diese Toten verantwortlich. So bitte nicht. Die Unsitte, sich dadurch argumentativ unangreifbar zu machen, dass man seinen Kontrahenten die Verantwortung für bestimmte Opfer zulügt, muss aufhören. Btw: Wenn, dann bitte alle Opfer benennen. Z. B. - wie durch Zufall komme ich darauf - die Abermillionen, die das linke Welt- und Menschen"verbesserungs"projekt im 20. Jhdt. gekostet hat. Und wer das jetzt "whataboutism" nennt zeigt mir, dass er von Argumentationstheorie nicht die Bohne was versteht.
_______________________
Lektüretipp: Thomas Nagel, Das letzte Wort, Stuttgart: Reclam, 1999/2015 (englisch: Oxford UP, 1997). Bevor irgend jemand behauptet, Markus Gabriels "Neuer Realismus" von 2011 sei so neu... (Man kanns natürlich auch mit George Edward Moore versuchen)
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Impfpflicht: Ach, das bewegt jetzt alle. Sogar mich. Mithin: Ich bin eigentlich dagegen. 2 und 2 bleiben auch dann 4, wenn Kubicki zustimmt. Will sagen: Die Wahrung der körperlichen Integrität ist schon ein sehr, sehr (sehr, sehr, sehr) wichtiges Verfassungsgut. Der Rohrstock ist Mist, zweifellos. Was machen wir - die menschliche Wirklichkeit schlägt die Theorie bekanntlich immer, und das sage ich, der Kantianer und Schillerianer! - , wenn es ohne Rohrstock aka Impfpflicht nicht geht? I'm free for proposals... Mist! Ganz ganz großer Mist, so oder so!
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Kathleen Stock: Ich empfehle Beschaffung und Lektüre des Buchs "Material Girls. Why Reality matters for Feminism". Betonung liegt auf Lektüre. Danach möge entschieden werden, ob Stock eine "Adolf Hitler" ist, die Transgenders eine "final solution" angedeihen lassen will. Mit meiner begründeten Antwort - Nein, ist sie nicht und will sie nicht, natürlich nicht, was für eine irre Frage - will ich nicht hinterm Berg halten.
Ob sie Recht hat mit ihrer These, der Geschlechterbegriff solle sehr wesentlich auf sex rekurrieren, wobei sex von gender strikt zu trennen und, gegen Butler, primär biologisch zu definieren sei, ist eine ganz andere Frage. Das muss der Feminismus erst einmal unter sich klären. Stocks Begriffsanalyse dazu im ersten Teil ihres Buches ist sehr subtil und m.E. auch fair. Aber gut, darüber muss diskutiert werden. Die Vorwürfe gegen sie sind jedenfalls schlicht irre.
Übrigens nehme ich bei der Debatte eine Methode wahr, die ich immer schon unfair gefunden habe: Es werden die (unstrittigen und unstrittig widerwärtigen!) Morde an Transgender angeführt, als seien Stock und Rowling für diese Toten verantwortlich. So bitte nicht. Die Unsitte, sich dadurch argumentativ unangreifbar zu machen, dass man seinen Kontrahenten die Verantwortung für bestimmte Opfer zulügt, muss aufhören. Btw: Wenn, dann bitte alle Opfer benennen. Z. B. - wie durch Zufall komme ich darauf - die Abermillionen, die das linke Welt- und Menschen"verbesserungs"projekt im 20. Jhdt. gekostet hat. Und wer das jetzt "whataboutism" nennt zeigt mir, dass er von Argumentationstheorie nicht die Bohne was versteht.
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Lektüretipp: Thomas Nagel, Das letzte Wort, Stuttgart: Reclam, 1999/2015 (englisch: Oxford UP, 1997). Bevor irgend jemand behauptet, Markus Gabriels "Neuer Realismus" von 2011 sei so neu... (Man kanns natürlich auch mit George Edward Moore versuchen)
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